Sophie Casado

Texte und Publikationen

Vos papiers s.v.p.!    Die Papierobjekte von Sophie Casado

Das bevorzugte Material Sophie Casados ist durchsichtiges Seidenpapier, das sie zu eindrucksvollen, zauberhaften Gebilden formt: Fragile weiße Papierobjekte von poetischer Ästhetik und Leichtigkeit sind das Kennzeichen ihrer plastischen Arbeit. Schicht um Schicht, leicht und durchscheinend - Schichtungen verstellen den Blick und Transparenz bedeutet nicht immer Klarheit. In ihren neuesten Arbeiten benützt die Künstlerin schwarzes Seidenpapier, durch das ihre Objekte nun eine dichtere und kompakte Dimension gewinnen. Die Kissen Casados gehen von strengen, allerdings anthropomorph geprägten Grundformen aus, deren Oberflächen sehr variabel gestaltet sind und organische, biomorphe Strukturen aufweisen.

Die serielle Anordnung autonomer Dinge wie die Installation schwarzer Kissen (vgl. Abb. S. 4) ist im Ideengehalt kongruent zu einer wenig bekannten Zeichnung Albrecht Dürers, Sechs Kissen 1 auf der Rückseite seines Selbstbildnisses mit Kissen von 1493. Viel diskutiert 2 im Fall der Arbeit Dürers wurde die Anthropologie der Formen – sie hat ihre Entsprechung in den Kissen Casados, deren Grundform die des menschlichen Kopfes assoziieren lässt und eine gewisse Verwandtschaft mit den plastischen Köpfen Franz Bernhards aufweist 3 .

Wichtigste Inspirationsquelle der Künstlerin war allerdings zunächst die Natur: Ihre ersten vollplastischen Papierobjekte ähneln Stromatolithen, bergförmigen Kalksteingebilden, wie ein Vergleich der Arbeit Jardin von 2003 mit den berühmten australischen pinnacles unschwer aufzeigt (vgl. Abbn. S. 20f.). Ging es dabei um die Übersetzung kompakter, großer Formen, so liegt der Focus durchaus auch auf der kleinen Form – die Filamente ihrer Kissen erinnern an Zilien, die dünnen Fortsätze auf Zellkörpern, oder etwa an verdorrte Efeuranken (vgl. Abb. S. 9), oder in ihrer schwarzen, dicken Ausprägung an Stacheln.

Natürlich ist die Beschäftigung mit den Dingen der Natur nichts Neues. Ihre Schilderung und Hinterfragung gibt es, seit der Mensch zeichnet und modelliert. Das Szenario jedenfalls wird immer komplexer, wie man hier sieht. Dabei hat diese Methode der Befragung von Natur mehrere Voraussetzungen in der Kunst des 20. Jahrhunderts: im Ergebnis völlig anders, setzt sie jedoch dieselbe Reflexion voraus. Natürlich stellt sich auch die Frage nach den spezifisch skulpturalen Voraussetzungen der Kunst Casados. Denn auch die Plastik unserer Zeit besitzt eine biomorphe – also von den Kräften des natürlichen Lebens geformte – Tradition, eben von Hans Arp über Henry Moore bis zu Jeff Koons. „Wie die Natur“ ist ein fundamentales Schlagwort moderner Ästhetik, die Skulptur öffnet sich für Analogien zu Wachstumskräften. Besonders das Schaffen Hans Arps wurde zum Inbegriff biomorpher Plastik und muß als wesentliche Voraussetzung für das plastische Tun Casados gelten.

Neben den Papierobjekten entstand in den Jahren 2010 bis 2014 eine weitere plastische Werkgruppe Casados: R. der Lüfte, aus Rattanstäben gefügte, leichte und dabei stabile Gebilde. Gitterkonstruktionen, die als Mobiles den Raum strukturieren und im mpk zu einer heiteren Installation vereint sind. Diese bewegte Form der Plastik spielt mit dem Reiz der Veränderung durch die Luftbewegung und der dadurch wechselnden räumlichen Beziehungen – schwebend wird auch hier die Assoziation organischer Formen erzielt.

Mit einer Gruppe von Zeichnungen schließlich wird die Grundlage der Arbeit Sophie Casados näher beleuchtet - die Schilderung und Befragung der natürlichen Dinge kreist letztlich um die Suche nach Urformen der Kunst, enttarnt in der Natur: Depuis le milieu du lac (Von der Mitte des Sees) aus gesehen, nennt die Künstlerin ihre Wasserbilder, deren zwei-zoniger Aufbau aus Wasseroberfläche und Schilfgürtel besteht. Die vertikalen, strichhaften Schichtungen der Schilfhalme werden zur Abbreviatur des Zeichnerischen und stehen für die Dialektik von Natur und Kunst. Das Motiv des Schilfs spricht zunächst ganz allgemein von der Befragung der Naturformen. Das Naturobjekt steht dabei selbstredend nicht im Fokus einer mehr oder weniger abstrahierten Realitätsaneignung, sondern ist Ausgangspunkt einer künstlerischen Neuerfindung im Gefühl der Annäherung. Damit ist in einem grundlegenden Sinn das Verhältnis von Natur und Kunst angesprochen. Der zweifache Aspekt der Natur, also die Auseinandersetzung mit der Dialektik von natura naturans und natura naturata ist in Sophie Casados Werken evident. Ihre Bildregie kreist um das parallel zur Natur entstehende Kunstwerk. Wesentlich sind ebenso auch die assoziativen Möglichkeiten des Betrachters, dessen kulturelle Gebundenheit mit dem canne al vento…

Neben der Vegetation ist das Wasser die zweite zentrale Zutat der Schilfbilder. Wasser ist ein uraltes Motiv der bildenden Kunst: „Es war sinnbildlicher Ausdruck von Emotionen und Sehnsüchten, symbolisierte den Lauf des menschlichen Lebens oder stand als Metapher für das Göttliche, das rational nicht mehr Fassbare. Die künstlerischen Werke verbinden dabei scheinbar unvereinbare Gegensätze – hier versinnbildlicht Wasser Schöpfung, dort Vernichtung, es steht für Hoffnung und Verzweiflung, Sexualität und Läuterung; Wasser kann Triumph oder Niedergang symbolisieren, Fruchtbarkeit und Vergänglichkeit verbildlichen oder es verweist auf Liebe und Tod.“ 4 Diese extreme Komplexität des Motivkreises lässt sich für die Arbeiten Casados sicherlich eingrenzen, wichtig allerdings scheint der Hinweis auf die Gegensätzlichkeit der Bedeutungsgehalte, das der Natur immanente dialektische Prinzip von Werden und Vergehen.

Dr. Heinz Höfchen, Katalog: Schicht um Schicht, Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern

 1 Albrecht Dürer, Sechs Kissen, 1493, Tuschfeder in Braun/Papier, 276x202 mm. Metropolitan Museum of Art, New York.

 2 Vgl. dazu: Felix Thürlemann, Dürers doppelter Blick, Konstanz 2008. 

 3 Vgl. etwa die Köpfe WV 460-463 oder WV 512f (Franz Bernhard, Werkverzeichnis der Skulpturen 2004 bis 2013, Freiburg i. Br. 2015).

 4 Michael Brunner und Andrea C. Theil, Vorwort, in: Ausst.-Kat., Wasser in der Kunst. Vom Mittelalter bis heute, Städtische Galerie Überlingen 2004, S. 4


Von geheimem Leben erfüllt

(...) Papier, besonders durchsichtiges Seidenpapier, entdeckt sie als kongeniales Material für ihre fragilen Hülleformen. Verletzbar, aber trotzdem widerstandsfähig und flexibel, kann sie das Material wie eine Haut spannen, in vielen Schichten übereinanderlegen, falten oder zu dünnen Fäden, Haaren oder Stacheln formen.

Mit sparsamen Mitteln von Linie, Farbe und Material gelingen der Künstlerin Objekte von großer Leichtigkeit und Ästhetik (...)

Eine wichtige Rolle spielt dabei die monochrome Farbe, die Beschränkung auf Weiß. Dadurch wird das Flüchtige, Immaterielle von Licht und Schatten thematisiert. Je nach Lichteinfall und Position des Betrachters entwickeln sich subtile, plastische Spannungen (...) Vom Einzelobjekt sie zur Objektgruppe, vom Relief zur freien Raumplastik und zum Raumensemble. Regelmäßig sich wiederholende Strukturen verleihen den Arbeiten Rhythmus und meditative Kraft.

Dr. Ulrike Hauser-Suida


Publikationen:

- BBK Rheinland-Pfalz im Bundesverband e.V., Dokumentation der FLUX4ART 2020, 2021, Bonn, S.160-161

- Städtische Galerie Villa Streccuis: Sophie Casado, Augenblicke des Flüchtigen, Ausstellungskatalog, 2020 

- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (Hg.): Sophie Casado, Schicht um Schicht, Ausstellungskatalog, 2017, ISBN 978-3-89422-207-9

- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (Hg.): Pfalzpreis für Bildende Kunst-Plastik 2014, Ausstellungskatalog, ISBN 978-3-89422-192-8

- Wilhelm-Hack-Museum und Kunstverein Ludwigshafen: Regionale 2010, S. 50-51, Ausstellungskatalog

  Kunstverein Ludwigshafen: Emy-Roeder-Preis 2002, Ausstellungskatalog, S. 32-33,

- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (Hg.): Pfalzpreis für Bildende Kunst-Graphik 2010, Ausstellungskatalog, ISBN 3-89422-169-0 

- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (Hg.): Pfalzpreis für Bildende Kunst-Plastik 2008, Ausstellungskatalog, ISBN 3-89422-151-8

- Galerie Up-Art (Hg.): Sophie Casado, Papierobjekte und Zeichnungen 1998-2008, Katalog

- Kunstverein Villa Streccius (Hg.): Stadtlandschaft Landschaftsbilder - Künstlerische Prozesse zwischen Tradition und Rebellion, 2007, S. 42-43, ISBN 978-3-00-022342-6

- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (Hg.): Pfalzpreis für Bildende Kunst-Plastik 2002, Ausstellungskatalog, ISBN 3-89422-119-4

- Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen: Der Anker, Erinnerungen, 2002, Ausstellungskatalog, S. 30-31

- Kunstverein Ludwigshafen: Emy-Roeder-Preis 2002, Ausstellungskatalog, S. 32-33 

- Saar Ferngas (Hg.): Förderpreis Junge Kunst 2002, Ausstellungskatalog Hack-Museum Ludwigshafen, 

S. 24-25-26-27, ISBN 3-934713-06-8

- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern (Hg.): Pfalzpreis für Bildende Kunst-Malerei 2000, Ausstellungskatalog, ISBN 3-89422-110-0